Ricarda Hoop

geboren am 18. Februar 1981 in Parchim / Mecklenburg - Vorpommern,
2000 Abitur Wirtschaftsgymnasium Weidenstieg Hamburg,
2001/02 Freiwilliges Soziales Jahr in der Werkstatt für Behinderte Eichenkamp Pinneberg,
2003 - 2008 Unterricht bei Jörk Kalkreuter Hamburg,
2004 - 2011 Studium freie Kunst mit dem Schwerpunkt Zeichnung / Malerei an der Hochschule für bildende Künste Hamburg (HfbK) bei Wiebke Siem, Achim Hoops, Hanne Loreck und Uwe Hennecken, seit 2011 lebt und arbeitet in Leipzig

www.ricardahoop.de

Le Paysage dessiné dans l'espace – Raumfolgen

„Die Wand des Wohnens ist eine hochsensible, gesellschaftlich und gesellschaftspolitisch markierte Fläche“1
Ausgehend von diesem Kern meiner künstlerischen Arbeit, dem Interieur, habe ich diese Projektidee entwickelt, Bildtapeten in großformatigen Zeichnungen zu erarbeiten. Anders als in meinen bisherigen Arbeiten, in denen ich mich auf Details, Ausschnitte und einzelne Objekte konzentriert habe, möchte ich in dieser neuen Serie, Dinge in einem Panorama zusammenführen, in raumgreifenden Zeichnungen. Die Bildtapeten haben etwas vexierbildartiges. Laut dem Grimmschen Wörterbuch handelt es sich um ein „Bild mit einem, in der Zeichnung verborgenen Betrug, Scherz“. Was und wer schaut da auf die Bewohnerinnen und den Bewohner? Bildtapeten sind „Einrichtungselemente, die anders als ornamental gestaltete Wanddekore keinen sich wiederholenden Rapport besitzen.“2 Sie zeigen eine Synthese aus Landschaftsszenerien, Naturräumen und Figuren in einer Kulisse.
Diese Landschaften aus Papier sollten im Innenraum einen Zugang zur Natur ermöglichen und kamen im 18. Jahrhundert in Mode. Ähnliche Tendenzen spiegelten sich auch in der intensiven Auseinandersetzung mit der Landschaft und der Tier? und Pflanzenwelt in der Malerei wider. Die Bildtapeten grenzten sich in dem Maße von den „floralen Tapetenräumen des Barock und des Rokoko ab, in den auf Natur vor allem mit einer formelhaften, ornamentalen Dekorationssprache Bezug genommen wurde.“3 Im 19. Jahrhundert erhielt sie eine ambivalente Bewertung und die Grenzen zwischen den schönen Künsten und dem Kunsthandwerk als Massenprodukt wurden fließend. In den 1970er Jahren repräsentierten die wandfüllenden Fototapeten auch Sehnsuchtsorte, teilweise findet man sie heute als eine Art „Retroelement“ des Wohnens wieder. Die Bildtapete bildet die Schnittstelle zwischen dem Subjekt, dem Interieur und der Szenerie.
Die in der Künstlerresidenz Brig-Glis entstehenden Zeichnungen stehen in Bezug zur heutigen Zeit bzw. zur jüngsten Vergangenheit. Unsere Umgebung, Fundstücke, Beobachtungen und Untersuchungen des heutigen Wohnraums bilden dafür die Grundlage. Ich werde absurde Motive konstruieren und dekonstruieren, mit Allegorien und Zitaten arbeiten und die entstehenden Zeichnungen sind Orte konzentrierter Reflexion der Dinge, die uns umgeben, im Gegensatz zu der üblichen Darstellung der „schönen und angenehmen Welt“ auf Bildtapeten in bürgerlichen Räumen. Das Projekt ist eine Beobachtung, in der das Alltägliche eigentümlich fremd wird. Viktor Šklovskij sprach von der „Verfremdung der Dinge“. „Das Ziel [...] ist, uns ein Empfinden für das Ding zu geben, ein Empfinden, das Sehen und nicht nur Wiedererkennen ist.“ Durch das Sehen und mit den Mitteln der ironischen Distanzierung kann ich die Dinge erneut in den Blick nehmen.
Um die gedankliche Herangehensweise verständlich zu machen, möchte ich hier auf eine andere künstlerische Sprache hinweisen. Die amerikanische Künstlerin Martha Rosler montierte in ihre Collagen Szenarien des Vietnamkrieges in vertraute stilisierte Interieurs aus der Zeitschriften wie „Schöner Wohnen“. Damit traten jene Bilder von Vernichtung und Zerstörung an die Stelle der heimischen Idylle und sie ließ die sogenannten vier Wände des Wohnens als hochsensible und gesellschaftlich verbrannte Fläche zurück.
In meiner Arbeit ist die Zeichnung das Mittel zur Reflexion und Dekonstruktion scheinbar unbedeutender Dinge des vermeintlich privaten Wohnraums. Fragen und Sichtweisen und als Transmitter in der globalen, vernetzten und transparenten Welt fungiert der Wohnraum, ein immer weiter voran schreitenden Rückzugsort ins „private Kuriositätenkabinett“ als substanzielle Reaktion des Individuums. Die anschließende Ausstellung lädt den Betrachter ein, einzutreten in „Le Paysage dessiné dans l'espace“, die gezeichnete Landschaft im Raum. Den Raumfolgen.

1,2,3) aus „Interieur und Tapete: Narrative des Wohnens um 1800“, Katharina Eck und Astrid Silvia Schönhagen