Nach einer Kürschner- und einer Fotografenlehre studierte Anita Gratzer an der Kunstuniversität in Linz unter Prof. Dr.Herbert Lachmayr und Prof. Dr.Thomas Macho.

Die ersten Auslandstipendien des österreichischen Bundesministeriums erhielt sie noch während ihres Studiums für Krakau und Paris. Danach zahlreiche Förderungen und Preise wie das Staatsstipendium der Republik Österreich für Fotografie.

Nach einem zweijährigen Lebensaufenthalt in New York und einer längeren Kinderkarenz begann sie 2015 sich wieder vollständig ihrer künstlerischen Produktion zu widmen.

Seit dieser Zeit war sie zu Gast in China, Korea, Iran, Estland, Litauen und mehrfach in Japan und der Schweiz. Diese meist monatelangen Arbeitsaufenthalte führten zu Einzelausstellungen in Shanghai, Daegu, Solothurn, Teheran, Tallin, Tokyo und seit 2019 auch zu einem eigenem Studio und Wohnsitz in Japan.

www.anita-gratzer.net

Für ihr Projekt in Brig stand ursprünglich das Buch “Der Mensch im Holozän” von Max Frisch Pate ihres Projektes. Die aktuelle Pandemie brachte schon Tage nach ihrer Ankunft im März die ursprünglichen Pläne etwas durcheinander. Elemente der Interaktion mit der lokalen Bevölkerung wichen intensiver Isolation und Reflexion.

“Katastrophen kennt allein der Mensch, die Natur kennt keine Katastrophen” schreibt Frisch in seiner Erzählung.

In Ihren Arbeiten vereinigt sich Anita Gratzer mit der literarischen Figur auf der Suche nach einem Schutz, um diesen Verschwinden und Vergessen zu entkommen. Dazu produziert sie in ihrem Atelier Erinnerungs- Prothesen, tragbare Skulpturen welche die Flüchtigkeit einhüllen und abschirmen. Diese Kleidungsstücke aus antiken Büchern, Briefmarken, Rationierungskarten und einsamen Tagebucheinträgen bilden den zentralen Teil der Arbeit. Sie werden flankiert von taxidermischen Referenzen, welche scheinbar aus einer inneren Wunderkammer entspringen. ”Sonno Sottile”, nennt sie diese mit Gebetsbüchern modellierten überzogenen calvariae, Zeichen der Erosion von Wissen und Natur. Das pflanzliche Pendant zu den Tierschädeln sind Lesehölzer, welche sie aus Fundstücken der Saltina Schlucht und 150 Jahre alten Brockhaus-Ausgaben zu phantastischen Wissensfragmenten montiert.

In ihrem Schweizer Exil, hat sich Anita Gratzer vom auslösenden Affekt, jener literarischen Inspiration gereinigt, und beschert nun eine Flüchtigkeit der momentan so ungeheuren Verengung ihrer Welt. Die Versuche des Festhaltens von Erinnerungen wurden dabei selbst zu Solchen und damit zu gültigen Kunstwerken ihrer eigenen Qual.